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Wenn sich das Semester dem Ende neigt, befällt eine Krankheit ganze Studentenmassen: Aufschieberitis oder wie es fachlich genannt wird: Prokrastination. Letztere Beschreibung finde ich persönlich viel sympathischer. Es mag vielleicht leicht nach Prostatakrebs klingen, aber immerhin kommt das böse Wort „Aufschieben“ nicht darin vor und „Pro“ klingt deutlich freundlicher und motivierender. Das Wort „Prokrastination“ setzt sich aus den lateinischen Worten ‚pro‘ (für) und ‚cras‘ (morgen) zusammen. Man sollte klar stellen, dass Prokrastination chronisches Aufschieben ist, das letztlich die Bewältigung des Alltags stark beeinträchtig und somit von Willensschwäche und Faulheit zu differenzieren ist.

 

Die Kunst des Aufschiebens

 

Ich leide auch unter Aufschieberitis. Sie kommt nicht schleichend, sondern erwischt einen knallhart eines Morgens. Man wacht einige Wochen vor den Klausuren auf und denkt sich: heute mache ich richtig viel für die Uni. Wecker nochmal kurz auf Snooze. Und nochmal. Dann eine halbe Stunde alle sozialen Netzwerke checken. Danach einen Kaffee machen. Heute Cappuccino – man muss sich ja was Gutes tun, bei so viel Stress. Aus diesem Grund entscheiden sich auch die meisten für ein ausgewogenes Frühstück. Am Abend war der Plan noch ein Müsli mit frischen Früchten zubereiten; leicht verschlafen am nächsten Morgen in der Küche sieht ein Toast mit Nutella oder Erdnussbutter verlockender aus. Nun kommt der alles entscheidende Moment: aufstehen und Lernsachen holen oder erstmal etwas in diesem Moment wichtiger erscheinendes erledigen. 

Ich putze gewöhnlich dann erstmal die Küche, anschließend putze ich Fenster, sauge, wische Staub und bügel. Das ist alles sehr wichtig. In der Prüfungsphase sieht es bei mir immer so aus, als würde ELLE gleich mit einem Team vorbeikommen. Meine Eltern könnten mir jeden Moment einen Besuch abstatten und wären begeistert von ihrer, endlich so ordentlich gewordenen, Tochter. Ha, die sollten meine Wohnung mal am Anfang des Semesters sehen. Ich höre gedanklich meine Mutter fragen: Liebes, ist das ein Teppich, den du aus Klamotten genäht hast? Dieses Aufräumen ist eine fantastische Möglichkeit sich einzureden, erst Ordnung um sich herum zu benötigen, damit man sich konzentrieren kann. Blödsinn. Das ist lediglich eine Übersprungshandlung mit positivem Nebeneffekt.

 

Die Kunst des Aufschiebens

 

Es soll jetzt kein falsches Bild entstehen: es ist definitiv nicht so, dass ich zwischen Herd und Wäsche zusammenlegen so viel Freude empfinde, dass man es als Leidenschaft bezeichnen könnte. Es kommt oft genug vor, dass ich mir „Gossip Girl“ zum zigsten Mal ansehe oder stundenlang die Mimik von Interviewten studiere. Das habe ich zwei Semester lange so gehalten. Wenn dieses Bild gepostet wurde, auf dem „sollte, hätte, könnte, würde" durchgestrichen steht und „machen" mit einem Ausrufezeichen versehen ist, dachte ich immer so: „Nein?! Mach ich einfach Übermorgen". 

Dieses Semester dachte ich mir: Du bist jetzt in einem Alter, in dem du absolut bereit bist, die Dinge direkt anzugehen. Ohne Ablenkung. Und wenn Ablenkung von Nöten sein sollte, dann nur produktive (nicht putzen!). Ich benahm mich vorbildlich. Ging regelmäßig zu den Kursen, beschäftigte mich jeden Tag mit den einzelnen Fächern und war vollkommen motiviert eingestellt. Aber dann: die Weihnachtsferien unterbrachen meinen Flow, die Klausuren rückten näher und ich hörte auf, viel für die Uni zu tun. Vor mir schien ein Mount Everest der Lernstunden zu stehen, der, mal realistisch betrachtet, eher ein saarländischer Hügel war. Es war nicht unmachbar, die Klausuren zu schreiben, doch das Gefühl des Druckes, des Stresses lösten bei mir Gefühle der Frustration und Resignation aus. Kurz um: meine Lebensfreude war ohne mich abgedüst. Ich überlegte, welche Möglichkeiten ich hatte, wieder auf die Beine zu kommen: sich im Bett verkriechen und Winterschlaf halten, bis alles vorbei war, mir die Disziplin reinzuprügeln oder Schritt für Schritt wieder nach oben zu kommen, indem ich realistische Ziele steckte. Letzteres empfehlen auch sämtliche Hilfeseiten im Internet. Ich bin definitiv kein Mensch für kleine Schritte oder Geduld und entschied mich dennoch für die letzte Methode. Was hatte ich schon für Wahlmöglichkeiten.

 

Die Kunst des Aufschiebens

 

Ab jetzt gab es einen etwas spaßbefreiten, aber effektiven Tagesplan, der auf Grund seiner strikten Struktur danach klang, einen Depressiven ins Leben zurückzubefördern. Was auch irgendwie zutraf (laut stundenlangem Ausfüllen von Online-Fragebögen war ich schwer depressiv). Um 7 Uhr stand ich auf. Ohne Snooze. Sicherheitshalber hatte ich den Wecker ins Bad verbannt. Erstmal auf den Beinen stehend denkt man sich: dann kann ich jetzt auch weiter gehen. Kaffee, Müsli, erste Zigarette mit Tinie Tempah in den Ohren. Ein Gefühl der ultimativen Coolness und Überlegenheit breitet sich im Kopf aus. Gute Basis. Noch ein bisschen am offenen Fenster hip hoppen. Jetzt gehört mir die Welt. Dann eine Stunde Text lesen. Wild durch die Wohnung tanzen. Text zusammenfassen. Freeletics machen. Mikroökonomische Begriffe lernen. Mittagessen kochen. Zeitung lesen. Ist auch Bildung. Sich an Mama’s Worte erinnern: einmal am Tag frische Luft ist ein Muss. Mit dem Fahrrad zur Uni fahren. Beschließen, sich nächstes Semester einer Sportgruppe anzuschließen, um nicht mehr hoch rot an der Uni anzukommen. Wieder daheim. Sich enorm diszipliniert fühlen. Nochmal Begriffe wiederholen. Feierabend verdient genießen. 

Das Programm mag nicht jeden Tag funktionieren. Rückschläge sind menschlich. Sie sind es, die uns stärker machen. Aber wenn man es schafft, für alles was man tut, wenigstens einen Funken Begeisterung zu finden, dann sieht man gleichzeitig einen Sinn. Und schon geht alles viel leichter. Und nicht vergessen: wir machen Prüfungen nicht zum Spaß, sondern weil wir alle ein großes Ziel vor Augen haben. Und dafür lohnt es sich zu kämpfen.

Elisa R.-M. (22), Studentin: Philosophie, Politik & Ökonomik, Witten

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